Weihnachten - Eintauchen in die Welt des anderen

Im gleißenden Licht zieht die nackte Schwimmerin ihre Runden. Sie genießt die Leere der Schwimmhalle, sie genießt noch mehr ihre Bewegungen und ihren Körper. Auf einmal taucht am Beckenrand der coole James auf, mit einem Hechtsprung springt er zu ihr ins Wasser. Sarah taucht weg und er hinterher.
Die alte und immer wieder neue Geschichte um die Liebe. Menschen begegnen sich, Liebe regt sich, es gibt jede Menge Hindernisse, und am Ende bekommen sie sich nicht. Oder doch!
Die Filmgeschichte „Gottes vergessene Kinder“ aus dem Jahre 1986 spricht mich an, besonders dieses szenische Abtauchen. Hier erreichen sich zwei Menschen. Die taub-stumme Sarah, die als Putzfrau in ihrer ehemaligen Schule arbeitet, macht gegenüber dem coolen neuen Lehrer völlig dicht. Er will ihr das Sprechen beibringen. Alle Versuche scheitern, er kommt nicht an sie heran. Dann dieser Augenblick im Wasser. Er schwimmt zu ihr. Sie taucht weg, er ihr nach. Sarah zieht James aus und drückt ihn unter Wasser. Und da geschieht es. Keine schmuddlige Pornoszene, kein Missbrauch, nein überhaupt nicht. Eine innige Umarmung, beide finden sich. Auch keine prickelnde Unterwasser – Liebesschnulze. Innige Liebe unter Wasser.
Natürlich, ich verstehe, es musste diese Umgebung sein, weil sie sich hier gleich sind. James muss unter Wasser hergeben, worin er sonst Sarah überlegen ist. Unter Wasser ist er taub und stumm wie sie.
Zwei Menschen kommen da zusammen, dort wo sie sich in der gleichen Situation befinden. Er taucht in ihre Welt ein, jetzt versteht er sie, jetzt kann sie sich ihm öffnen, seinen Worten, seinen Berührungen und seiner Liebe. Und James, jetzt muss er nicht mehr den coolen, trendigen jungen Lehrer spielen wie im Klassenzimmer oder vor dem Lehrerkollegium.
Die uralte Krippengeschichte von Jesus und Maria, Josef und den Hirten macht mich aufmerksam für solche heutigen Begegnungen. Oder umgekehrt. Sie erzählt davon, dass Gott die Distanz zum Menschen überwindet, und der Mensch möglicherweise seine Distanz zu Gott. Er lässt sich auf uns ein, er taucht in unser Leben ein, damit wir uns auf ihn und uns gegenseitig einlassen können. Auf einen Gott nur im Himmel will ich mich nicht einlassen.
Die einfache Weihnachtsgeschichte ermutigt, dass wir eintauchen in die Welt des anderen. Nicht um ihn auszunützen, keine Machtspiele, kein Missbrauch, nicht zu demütigen, keine Selbstbefriedigung des eigenen Narzissmus. Eintauchen um zu verstehen und sich einzulassen, um die Dinge aus anderen Hör- und Blick- und Sprachwinkeln zu verstehen. Eintauchen um die trennende Distanz zu überwinden, aber auch die notwendige Distanz wahren zu können.
Eine uralte Geschichte führt mich zum Verstehen der Putzfrau Sarah und eines am Ende der Erzählung gar nicht mehr coolen Lehrers James. Sarah erhielt den Oscar für diese Rolle. Ich würde gerne diese Auszeichnung an die Beteiligten der Krippenerzählung weitergeben.
Ich wünsche Ihnen und Euch, dass das Weihnachtsfest Sie ermutigt, unaufdringlich und vorsichtig die Bewegung zu wagen, in das Leben anderer einzutauchen und die Offenheit, dass andere auch in Ihr Leben eintauchen dürfen.
Herzlichst, Ihr und Euer Georg Bücheler